Gedanken zur Eröffnung der Brücke am 18. August 2012
von Juliane Hagen
Sie sind viel zu früh dran. Drei kleine Mädchen, vielleicht sechs, neun und elf Jahre alt. Schwestern, wie
sie mir erklären, und sie wohnen gleich dort drüben. Drei weitere Geschwister gibt es noch, die Mama hat
viel zu tun an diesem Samstag, so wie meistens. Während ich den Tisch für das Kinderschminken vorbereite,
weichen sie mir kaum von der Seite. Wer wir sind, wollen sie wissen, was wir hier machen, und wie viel das
für sie kostet. Ob das wirklich wahr ist, dass ein richtiger Clown kommt? Und sie pusten die Hüpfeburg auf?
Dürfen wir bleiben? Echt, das kostet nichts? Auch nicht das Schminken? Damals beim Netto, als da Kinderfest
war, das hat gekostet.
Etwas Geduld müssen sie noch haben, die Drei. Inzwischen wird drinnen fleißig gearbeitet: Gläser und
Getränke vorbereitet, der Tisch gedeckt, Musik ausgewählt, Kuchen geschnitten. Unermüdlich sind unsere
Iraner, und mich verscheuchen sie hartnäckig aus der Küche: Die Gläserkiste ist zu schwer, nein, ruh du dich
aus, wir machen das schon, danke sehr. Na gut, dann kann ich wohl auch meine drei Mädels schminken. Noch vor
der Zeit.
Die Kleinste ist die Mutigste und wird eine gelbrote Minimaus. Ihre mittlere Schwester will lieber eine
Wasserfee sein, ganz in Blau. Dass es keinen Glitzer gibt wie bei dem Mädchen auf der Vorlage, das stört
nicht im Geringsten. Und ich vermute, dass sie das schon öfter erlebt haben in ihrem jungen Leben, keinen
Glitzer da, wo andere ihn haben. Als auch die Älteste verwandelt ist (Modell Regenbogentiger), betteln sie
nach einer Geschichte. Also drängeln wir uns auf das Brückensofa, und alles, was ich dabei habe, ist die
Kinderbibel von Pixi. Aber die Mädchen lauschen wie gebannt. Denn von diesem Jesus haben sie noch nie vorher
was gehört. Als unser Pastor Fischer schließlich hereinkommt, meint die Mittlere: "Oooooh, der sieht ja aus
wie Gott!"
Schon bald beginnt die Älteste, mir von sich zu berichten, von ihren Sorgen mit Mama und Papa, und auch ihre
Schwestern schütten ihre kleinen Herzen aus. Wer sie hänselt, was in der Schule zu schwer ist... Und diese
hat gesagt, meine Frisur ist doof. Ich: "Ist sie gar nicht. Sie ist vielleicht ein wenig neidisch..." Es ist
so leicht, so ein Kind für einen Augenblick froh zu machen. Zwei Ohren und ein freundliches Wort genügen oft
schon.
Inzwischen sind eine Menge Leute da, und es geht bunt durcheinander vor und in der Brücke. Der Kickertisch
ist stark frequentiert, beim Kinderschminken bildet sich die erste Schlange, und die Erwachsenen haben
Kaffeedurst. Als schließlich das Team vom Festival der Hoffnung anrückt und seine Aktionen auf dem
gegenüberliegenden Platz startet, scheint plötzlich das ganze Viertel auf den Beinen zu sein. Es ist
chaotisch und laut und ein bisschen wild. Es ist wundervoll!
Um 18 Uhr ist dann der Gottesdienst in der Lukaskirche. Ich bin etwas nervös, weil ich die Fürbitten
verlesen darf. Aber dann komme ich nicht wirklich zum Nachdenken und Aufgeregtsein, denn mit unserem
Schirmherren Prof. Schulz zieht ein gutes Dutzend Kinder in die Kirche ein. Ich bin sicher, die meisten
waren noch nie vorher in einem Gottesdienst. Als ich meine drei Mädels entdecke, winke ich sie zu mir in die
Bank. Das war es dann mit der Ruhe, denn sofort geht ein heftiges Diskutieren mit den nachfolgenden Kindern
los. Wer darf wo sitzen? Wer ist doof und soll woanders hin? Pssst, nicht mehr reden. Du redest ja viel
lauter! Pssst! Selber! Wo sind die denn grad mit dem Lied? Pssst! "Lasset die Kindlein zu mir kommen..."
Bislang habe ich, das muss ich ehrlich zugeben, nicht an eine so lebendige Schar gedacht bei diesem Vers.
Aber ja! So sind sie eben. Irgendwann konstatiert die Älteste von den Dreien: "Es ist ja viel zu ruhig
hier!" Und schon sind sie fort. Für eine ganze Predigt reicht das Sitzfleisch dann doch nicht - noch nicht.
Aber immerhin.
Die Party hinterher dürfte mehr nach ihrem Geschmack sein. Es gibt Live-Musik und etwas zu essen, und der
Spielbereich in der Brücke ist freigegeben. Einige Kinder versuchen gar, mir ein Puppenspiel vorzuführen. Es
scheitert an der, wie soll ich sagen, Organisation des Stückes, aber immerhin. Ich bin gerührt. Gerührt
auch, weil es schon halb zehn ist und sich anscheinend keiner wundert, wo das sechsjährige Mädchen wohl
bleibt. Ich kann es Ihnen sagen: Es sitzt am Klavier, vermutlich zum ersten Mal im Leben, und hat ordentlich
Spaß am Lautsein.
Bei all dem bunten Treiben sind sie noch immer fleißig, die Iraner und Hugo und Jutta Gevers und Manja und
Christian Kalberlah und viele,viele andere Helfer. Gott weiß, wie viel Geschirr sie gespült, Getränke sie
ausgeschenkt, Menschen sie freundlich angelächelt haben. Gegen zehn macht sich jedenfalls eine allgemeine
Erschöpfung breit. Zu dem Zeitpunkt ist unser Pastor schon weg, denn er muss in der Nacht noch eine Predigt
schreiben, weil er spontan einspringt im Gottesdienst am Folgetag. Trotzdem hat er sich kurz zuvor noch Zeit
genommen für die zwei ungepflegten Männer mit ihren Bierflaschen, die halb verloren am Rande des Festes
hockten. Hat sich zu ihnen auf die Straße gesetzt, der Mann, den die Kinder aus Volkmarsdorf mit Gott
verwechseln, und hat zugehört. Denn das, was bei den Kleinen klappt, tut auch den Großen gut.
Irgendwann ist es auch für mich Zeit zu gehen. Aber vorher muss ich meinen Mädchen das Eine noch ganz fest
versprechen: Dass ich wiederkomme ...
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